Nach Eintritt von Arbeitsunfällen ist es Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen (§ 1 SGB VII). Um diesem Auftrag nachzukommen, sind die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung verpflichtet, die Qualität der Leistungen sicherzustellen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das Peer-Review der Durchgangsarztberichte stellt vor diesem Hintergrund eine Qualitätssicherungsmaßnahme innerhalb des durchgangsärztlichen Heilverfahrens der gesetzlichen Unfallversicherung dar [1].

Als Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) das erste bundesweite Peer-Review im Jahr 2017 ins Leben gerufen. Peer-Review-Verfahren als Instrumente zur Qualitätsmessung haben sich im deutschen Gesundheitswesen bereits Ende der 1990er Jahre bewährt und werden heutzutage vielfach eingesetzt. Der Vorteil von Peer-Reviews: Bei den Peers handelt es sich um unabhängige Fachkolleginnen und -kollegen, die eine Qualitätseinschätzung anhand eines standardisierten Kriterienkatalogs vornehmen.

Zur Selbsteinschätzung und gegebenenfalls Verbesserung ihrer Dokumentationsqualität erhalten alle bewerteten Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzte einen individuellen Qualitätsbericht, mit dem das eigene Abschneiden im Sinne eines Benchmarkings mit den im Durchschnitt erreichten Ergebnissen verglichen werden kann.

[1]  Polak et al. (2018), Evaluation von Durchgangsarztberichten mithilfe eines Peer-Review-Verfahrens. Trauma Berufskrankh 2018 · 20 (Suppl 4):S237–S240.

Im Durchgangsarztbericht hält die Durchgangsärztin bzw. der Durchgangsarzt unfallversicherungsrelevante Aspekte von Arbeits- und Wegeunfällen fest und dokumentiert u.a. Hergang, Ort und Zeitpunkt des Unfalls, Befunde, bildgebende Diagnostik, Erstdiagnose und Erstversorgungsmaßnahmen. Der Durchgangsarztbericht ist in der Regel der erste Arztbericht, den die Berufsgenossenschaft oder die Unfallkasse erhält, und ist nach § 27 des Vertrages Ärzte/Unfallversicherungsträger unverzüglich zu erstatten [2]. Anhand der Angaben aus dem Durchgangsarztbericht prüft der zuständige Unfallversicherungsträger, ob ein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes vorliegt. Eine unzureichende Dokumentation kann die Prüfung von Leistungen unnötig erschweren oder gar zu Rechtsstreitigkeiten führen. Da im Durchgangsarztbericht auch über die weiteren Maßnahmen entschieden wird, hat er eine wichtige Steuerungsfunktion im Heilverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung. Gerade bei schweren Verletzungen ist es wichtig, dass schon zu Beginn des Heilverfahrens die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Mit dem Peer-Review soll die Qualität der Dokumentation bewertet werden.

[2] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und Spitzenverband der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) (2017), Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger, Stand: 01.01.2018.

Durchgangsarztberichte sollten vollständig, ausführlich, sprachlich präzise und allgemein verständlich sein. Wichtig ist, dass alle Angaben ein logisch zusammenhängendes Gesamtbild ergeben, welches für den Unfallversicherungsträger eine valide Information über die Verletzung und den Unfallhergang vermittelt.

Durch die Definition des Arbeitsunfalles als ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes schädigendes Ereignis infolge einer versicherten Tätigkeit ergibt sich die Besonderheit, dass bei der Erstellung eines Durchgangsarztberichtes sowohl medizinische, als auch unfallversicherungsrechtliche Aspekte zu beachten sind. Folgende spezielle Anforderungen sind mit den nachstehend aufgeführten Sektionen des F1000-Formulars [3] verbunden:

[3] Deutsche Gesetzliche Unfallfallversicherung (DGUV), Formular des Durchgangsarztberichtes (F1000).

[4] Spier et al. (2017), Arzt und BG, 6. Auflage. Kepnerdruck, Eppingen.

Gegenstand dieses Evaluationsverfahrens sind ausschließlich Durchgangsarztberichte, mit denen eine Besondere Heilbehandlung eingeleitet wurde. Bewertet werden sollen zudem nur Berichte mit Erstbehandlungen. Für die Neuauflage des 2017/18 erstmals durchgeführten Peer-Review-Verfahrens sind insgesamt drei Durchgänge mit unterschiedlichen Schwerpunkten geplant:

  • Durchgang 1: Bewertung der zwischen März und Dezember 2021 erstatteten D-Berichte von ca. 900 an der stationären Heilbehandlung (DAV, VAV, SAV) beteiligten Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzten sowie von ca. 100 freien Praxen.
  • Durchgang 2: Bewertung der im Jahr 2022 erstatteten D-Berichte von ca. 1.400 ambulant tätigen Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzten und ca. 200 Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzten in DAV-, VAV- und SAV-Krankenhäusern.
  • Durchgang 3: Wiederholung der Evaluation für die Ärztegruppen, die in Durchgang 1 geprüft wurden, mit im Jahr 2023 erstatteten D-Berichten.

Das Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald hat im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes unter Mitwirkung eines Expertenkreises mit Mitgliedern aus der Ärzteschaft, der Unfallversicherungsträger und der DGUV eine Online-Checkliste mit qualitätsrelevanten Beurteilungskriterien entwickelt und validiert . Wichtigste allgemeine Kriterien sind die Vollständigkeit und Plausibilität der Angaben im Durchgangsarztbericht. Die seit dem Forschungsprojekt weiterentwickelte und aktuell eingesetzte Checkliste inklusive der Fragen stellen wir Ihnen hier vor.

[5] Szczotkowski et al. (2017), Entwicklung und Erprobung einer Checkliste zur Beurteilung der Qualität von Durchgangsarztberichten. Trauma Berufskrankh 2017 · 19:41–46.

Die Checkliste wurde in eine speziell für dieses Projekt entwickelte Webanwendung (C-DAB, „Checkliste für Durchgangsarztberichte“) integriert. Zu bewertende Durchgangsarztberichte werden anonymisiert in C-DAB eingestellt und können so online durch die Peers beurteilt werden. Nachstehend ein Auszug aus der Webanwendung C-DAB mit den Originaldaten aus dem Durchgangsarztbericht (linke Seite) und der integrierten Checkliste (rechte Seite):

Mit Unterstützung der unfallchirurgisch-orthopädischen Berufsverbände und Fachgesellschaften sowie der Landesverbände der DGUV wurden alle Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzte Anfang 2021 über das anstehende Projekt informiert. Interessierte konnten sich für die Tätigkeit als Peer bewerben. Das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der Peers war eine langjährige Erfahrung mit dem durchgangsärztlichen Heilverfahren.

Am aktuell laufenden Projektdurchgang sind insgesamt 99 Peers beteiligt, 16 davon stammen aus dem ambulanten Bereich, 83 aus dem stationären Bereich.

Zur Vorbereitung auf die Tätigkeit als Peer hat das projektbegleitende Expertenteam ein umfangreiches Schulungskonzept entwickelt. Ausführliche Informationen hierüber finden Sie hier.

Trotz der standardisierten Beurteilungskriterien ist es schwierig, für jede denkbare Konstellation in einem Durchgangsarztbericht eine eindeutige Beurteilungsvorgabe zu formulieren. Hierdurch besteht bei jeder Bewertung immer auch ein gewisser Ermessensspielraum. Dies ist jedoch eine Eigenschaft, die naturgemäß allen Peer-Reviews innewohnt.

Zur Sicherung der methodischen Qualität des Verfahrens bestimmen wir für jeden Durchgang die sogenannte Interrater-Reliabilität (Beurteilerübereinstimmung) des Verfahrens. Bisher lag diese bei einem als gut einzuschätzenden Wert von ca. 80%.

Durch die Zielvorgabe von 30 zufällig ausgewählten Durchgangsarztberichten pro evaluiertem Leistungserbringer, die von wiederum zufällig zugeteilten Peers bewertet werden, können die durchschnittlichen Bewertungen die reale Situation angemessen beschreiben. Zur Bestätigung dieser Hypothese werden – wie bereits im Peer-Review 2017/18 – verschiedene Adjustierungs- und Sensitivitätskonzepte überprüft, durch die bisher jedoch keine systematische Bevor- bzw. Benachteiligung von Leistungserbringern festgestellt werden konnte.

Im niedergelassenen Bereich erhalten Gemeinschaftspraxen jeweils einen gemeinsamen Qualitätsbericht für die gesamte Praxis – unabhängig davon, wie viele Durchgangsärztinnen oder Durchgangsärzte in einer Praxis tätig sind. Der Ausweis von Einzelergebnissen ist für Gemeinschaftspraxen nicht vorgesehen.

Im Peer-Review-Verfahren werden alle Durchgangsarztberichte und zugehörigen Bewertungen grundsätzlich nur elektronisch verarbeitet. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist die Herausgabe dieser Daten durch das Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald leider nicht möglich.

Planung, Durchführung und Auswertung des Projektes folgen den geltenden Datenschutzrichtlinien der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die Datenfelder des Durchgangsarztberichtes, die für Angaben zur versicherten Person, zum Unfallbetrieb oder zum Namen des Absenders vorgesehen sind, werden von der Datenannahmestelle der DGUV nicht an das Institut für Community Medizin der Universitätsmedizin Greifswald übermittelt und somit auch den Peers nicht zur Kenntnis gegeben. Hierdurch werden sowohl die Identität der Versicherten und der Unfallbetriebe als auch die Identität der Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzte geschützt, die den Durchgangsarztbericht erstellt haben. Auch umgekehrt ist es für bewertete Leistungserbringer nicht möglich, mit Hilfe ihres individuellen Qualitätsberichtes Rückschlüsse auf die Identität der beurteilenden Peers oder der ebenfalls bewerteten Kolleginnen und Kollegen zu ziehen.